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COX-2-HEMMER ROFECOXIB (VIOXX): KEIN ANTIRHEUMATIKUM!

Eine "Neue Welt der Bewegungsfreiheit"1 verspricht MSD für Rofecoxib (VIOXX). Dieser erste "selektive" Cyclooxigenase (COX)-2-Hemmer ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausschließlich zur symptomatischen Schmerzlinderung bei Arthrose zugelassen, in den USA auch bei akutem Schmerz und Dysmenorrhoe. Ob die Neuerung auch als Entzündungshemmer ausreichend wirksam ist, bleibt ungewiss.

EIGENSCHAFTEN: Das Schlüsselenzym für die Prostaglandinsynthese, die Cyclooxigenase, existiert in zwei Formen, Cox 1 und Cox 2 (siehe Kasten). Herkömmliche nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) einschließlich des "bevorzugten" Cox-2-Hemmers Meloxicam (MOBEC; a-t 8 [1996], 77) hemmen beide Enzyme in unterschiedlichem Ausmaß. Rofecoxib soll dagegen, gemessen an der Bildung von Thromboxan B2, im üblichen Dosisbereich die Cox 1 nicht beeinflussen. Ob dies auch für die Cox 1 im Magen zutrifft, ist unklar.

Rofecoxib wird einmal täglich eingenommen. Plasmaspiegel erreichen nach zwei bis vier Stunden ihr Maximum. Die Halbwertszeit beträgt 17 Stunden. Rofecoxib wird in der Leber verstoffwechselt und über die Nieren ausgeschieden.2

WIRKSAMKEIT: Vollständig veröffentlichte klinische Vergleichsstudien mit anderen Wirkstoffen zum Nutzen von Rofecoxib liegen nicht vor. In mehreren 6 bzw. 26 Wochen dauernden Untersuchungen an Patienten mit Knie- oder Hüftgelenksarthrose bessern 12,5 mg und 25 mg Rofecoxib Schmerzen beim Gehen auf ebener Strecke ebenso wie maximal dosiertes Diclofenac (VOLTAREN u.a.; dreimal täglich 50 mg) oder Ibuprofen (BRUFEN u.a.; dreimal täglich 800 mg). 25 mg Rofecoxib scheinen dabei nicht besser zu wirken als 12,5 mg.3-5 Wem die in der Fachinformation angeführte mögliche Erhöhung auf 25 mg nützen soll, bleibt daher offen.

Vergleiche mit NSAR wie Ibuprofen in niedriger, der Arthrosetherapie angemessenen analgetischen Dosierung (800 mg bis 1.200 mg täglich) fehlen, ebenso mit Parazetamol (BENURON u.a.), dem Standardmittel zur Behandlung nicht entzündlicher Schmerzen. Durch die Auswahl der falschen und zugleich maximaldosierten Vergleichssubstanzen wird so eine Wirkungsqualität (antirheumatisch-antientzündlich) vorgespiegelt, für die Rofecoxib nicht zugelassen ist und die es womöglich gar nicht besitzt.

GUTE COX 1, SCHLECHTE COX 2?

Die Cyclooxigenase (Cox) wandelt Arachidonsäure aus der Zellwand in die Prostaglandinstruktur um. Sie kommt in zwei Isoformen vor. Während Cox 1 in vielen Geweben ständig vorhanden ist und physiologische Prozesse wie Schutz der Magenschleimhaut, Nierendurchblutung oder Thrombozytenaggregation reguliert, wird Cox 2 unter anderem bei Entzündungen neu gebildet. Es scheint daher naheliegend, nur die "schlechte" Enzymvariante zu hemmen. Tatsächlich lässt sich eine Einteilung in "gute" und "böse" Cyclooxigenase jedoch nicht halten:

Cox 1 wird ebenfalls - wenn auch in geringerem Ausmaß - bei Stress und Entzündung vermehrt gebildet. Andererseits ist Cox 2 physiologisch in verschiedenen Organen wie Gehirn, Niere und Bauchspeicheldrüse präsent und an der Regulierung von Nierenfunktion, Knochenumbau, Eisprung u.a. beteiligt.11,12 Mäuse ohne Cox 2 sind kaum überlebensfähig. Fehlt den Tieren dagegen Cox 1, zeigen sie keine Auffälligkeiten und entwickeln auch keine spontanen Geschwüre.12,13

Untersuchungen mit verschiedenen "selektiven" Cox-2-Hemmern deuten darauf hin, dass die antientzündlich wirkende Dosis um ein Vielfaches höher ist als die für die Enzymhemmung benötigte. Ob Selektivität dann überhaupt noch besteht, ist fraglich.14

Cox 2 ist an der Abheilung von Magengeschwüren beteiligt.11,12 Nehmen Personen mit bestehendem Ulkus den Enzymhemmer ein, könnte dieser die Heilung verzögern oder Komplikationen begünstigen. Im Tierversuch verschlimmert die Blockade von Cox 2 Dickdarmentzündungen.12 Patienten mit aktiven Geschwüren oder entzündlichen Darmerkrankungen dürfen Rofecoxib nicht einnehmen. Sie haben nicht an den Studien teilgenommen.

Cox 2 spielt eine Rolle bei der Abwehr prothrombotischer Reaktionen am Endothel der großen Gefäße.15 Nicht auszuschließen ist, dass thrombotische Ereignisse bei Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen unter der Behandlung mit Rofecoxib zunehmen, ebenso wie Erkrankungen bzw. Versagen der Nieren.

STÖRWIRKUNGEN: Ein Vergleich der Häufigkeit endoskopisch nachweisbarer Schäden der Magenschleimhaut unter 25 mg und 50 mg Rofecoxib, 2.400 mg Ibuprofen und Plazebo soll eine bessere Magen-Darm-Verträglichkeit der Neuerung belegen.6 Verwertbare Informationen für den klinischen Alltag lassen sich aus diesen Daten nicht ableiten, da die Dosis von Ibuprofen zu hoch gewählt und die Bedeutung endoskopisch entdeckter Schleimhautläsionen unklar ist.

Nach gemeinsamer Auswertung von acht Studien der Phasen II und III erleiden unter 12,5 mg bis 50 mg Rofecoxib jährlich 1,3% der Anwender eine schwerwiegende gastrointestinale Komplikation (Perforation, symptomatisches Ulkus oder Blutung) im Vergleich zu 1,8% unter Diclofenac, Ibuprofen und Nabumeton (hierzulande nicht mehr im Handel).7 Die Ergebnisse beruhen hauptsächlich auf Vergleichen mit Maximaldosierungen von Ibuprofen.2 Berater der FDA äußern Bedenken hinsichtlich der kombinierten Auswertung verschiedener Dosierungen von Rofecoxib sowie der Vermischung von Daten verschiedener NSAR.8 Studien, in denen die Häufigkeit klinisch bedeutsamer Störwirkungen im Magen-Darm-Trakt unter Rofecoxib und angemessen dosierten NSAR untersucht wird, stehen aus, ebenso Vergleiche mit dem magenverträglichen Parazetamol. In den USA gilt daher der übliche Warnhinweis für alle NSAR vor schweren gastrointestinalen Störwirkungen ohne Einschränkung auch für Rofecoxib. Für den dort bereits zugelassenen Cox-2-Hemmer Celecoxib (USA: CELEBREX) dokumentiert die FDA drei Monate nach Markteinführung elf Magenblutungen und zehn tödliche Ereignisse, von denen fünf mit gastrointestinalen Blutungen oder Geschwüren in Verbindung gebracht werden.9

In den erwähnten Wirksamkeitsstudien verursacht Rofecoxib etwa gleich häufig unerwünschte Wirkungen wie die Vergleichssubstanzen.3- 5 In der gepoolten Auswertung7 kommen dyspeptische Beschwerden unter der Neuerung mit 23,5% innerhalb eines halben Jahres gegenüber 25,5% unter den Vergleichs-NSAR kaum seltener vor. Dass die Differenz klinisch relevant ist, ist zu bezweifeln. Nach sechs Monaten wird sie noch kleiner. 9,4% brechen die Einnahme von Rofecoxib wegen Störwirkungen vorzeitig ab (Vergleichs-NSAR: 10,7%), 3,5% davon wegen Magen-Darm-Unverträglichkeit (Vergleichs-NSAR: 4,8%). Auch hier sind die Unterschiede so gering, dass die Autoren, darunter mehrere Firmenmitarbeiter, Angaben zur statistischen Signifikanz unterlassen.

3% bis 4% der Anwender entwickeln Ödeme an den unteren Extremitäten oder Bluthochdruck.10 Da Cox-2-Hemmer den Eisprung und andere Fortpflanzungsschritte behindern, dürfen Frauen mit Kinderwunsch Rofecoxib nicht einnehmen.2

KOSTEN: Rofecoxib (VIOXX, 103 DM/Monat für täglich 12,5 mg) verteuert die Behandlung der Arthrose auf das Vier- bis Fünffache gegenüber Parazetamol (PARACETAMOL 500 VON CT: 18 DM, BENURON: 28 DM pro Monat bei 3 g/Tag) oder dem Ibuprofen-Generikum von Aliud (24 DM/Monat für 1200 mg täglich). Das Ibuprofen-Original BRUFEN (132 DM/Monat) kostet noch 30% mehr. Achtung: Die BRUFEN-Packung kostet mit 146,91 DM rund 100 DM mehr als der Festbetrag (43,99 DM).

FAZIT: Enttäuschend. Der angeblich selektive Cox-2-Hemmer Rofecoxib (VIOXX) scheint gar kein Antirheumatikum zu sein, sondern nur ein Analgetikum vom Parazetamol (BENURON u.a.)-Typ. Eine überzeugende antientzündliche Wirksamkeit ist jedenfalls nicht belegt. Sie wird aber durch den Studienansatz - Vergleiche mit Ibuprofen (BRUFEN u.a.) oder Diclofenac (VOLTAREN u.a.), nicht aber mit dem magenverträglichen Parazetamol - vorgegaukelt. Die Zulassung deckt nur die symptomatische Schmerzlinderung bei Arthrose ab.

Der Bluff geht weiter: Die Vergleichssubstanzen werden in den Studien maximal dosiert. Dadurch werden - willkürlich und therapeutisch nicht erforderlich - dosisabhängige, gastrointestinale Störwirkungen in Kauf genommen, so dass die Prüfsubstanz Rofecoxib besser abschneidet. Dennoch lässt sich ein Vorteil bei klinisch relevanten gastrointestinalen Störwirkungen kaum nachweisen. Das Ganze empfinden wir als gezielte Irreführung.


© 1999 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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